Mittwoch, 19. November 2014

Stille wagen

In den letzten Wochen war es sehr still auf diesem Blog. Das einzige, was ich gepostet habe, waren die Worte zur Woche - mit eigenen Fotos illustrierte fremde Zitate. Aber so fremd nun auch wieder nicht: Denn diese Sätze bewegen mich. Ich habe sie mir angeeignet, versucht zu verinnerlichen, irgendwann mal und nun wieder und umso mehr. Diese wunderbaren Worte haben sehr mit mir und meinen momentanen Themen und Prozessen zu tun. Und nun dienen sie in diesem Blog - nicht nur euch zur Inspiration - sondern auch mir als Konzentrat der zurückliegenden Zeit.
Denn der Rest stand zwischen den Zeilen. Dort wo - leider, zum Glück? oder eben symptomatisch -  mal nichts stand. Gar nichts. Stille. Ruhe.




Diese Ruhe musste ich erst suchen. Diese Stille musste ich erst finden. Wagen, würde ich sogar sagen. Stille wagen. Denn das schwierige an ihr ist die bange Ungewissheit: Was begegnet mir, wenn ich sie zulasse ? Was taucht da auf aus den Tiefen meiner Seele ? Welcher Wahrnehmung, welchem abgelehnten Gefühl, welchen drängenden inneren Fragen muss ich mich dann vielleicht stellen ?




Ich weiß, so neu ist dieses Thema nicht. Und inzwischen hat es sogar die esoterische Nische verlassen. Nicht nur spirituell Interessierte, sondern alle kritischen Beobachter unserer nach außen orientierten westlichen Gesellschaft sprechen neuerdings - oder wieder - vom Potenzial der Achtsamkeit. Vom inneren Gleichgewicht, der Kraft des Loslassens, unserer natürlichen Herzensweisheit. Es geht darum, in dieser hektischen Welt wieder zu sich zu - und bei sich an - zu kommen. Und um die unzähligen Wege und Methoden, die dorthin führen. Wie Yoga und Meditation, Naturerfahrung, Kreativität und Gebet, bewusstes Tun oder Nichttun. Oder einfach In die Stille gehen.

Ich habe mich viel mit all diesen Themen befasst, darüber gelesen und mich ausgetauscht. Fast alles habe ich schon ausprobiert. Aber Ihr wisst sicher schon, wo es hakt - kennt Ihr das vielleicht auch ? - Am regelmäßigen Praktizieren. Yoga mache ich inzwischen unter feiner Anleitung einmal pro Woche. Ich bin recht viel in der Natur und auch kreativ... habe keinen Fernseher und kein Smartphone.
Aber Stille ? Wirklich und rein ?
Ohne Radio, PC, Internet oder Buch ? Ohne eine Ablenkung ?
Ohne Pläneschmieden und Geschäftigsein ?
Alleinsein. Dasein. Bewusst Tun und Wahrnehmnen.
Immer wieder - täglich und unbarmherzig ?
Dazu musste ich gezwungen werden.




Als mein Geist, meine Seele es nicht vermochten, weil ich ihre Stimmen beharrlich überhörte - oder übertönen ließ - griff schließlich mein Körper ein. Ein wohlbekannter Tinnitus erklang in meinem linken Ohr.
Sicher, dieses Symptom kann viele Ursachen haben, aber die häufigste ist bekanntermaßen Stress. Mein periodisch auftretendes brummend-nerviges Ohrgeräusch begleitet mich seit dem 13. Lebensjahr und ist immer ein Zeichen von Überlastung - bei meiner Hochsensitivität geht das ziemlich schnell. Zum Glück ist der Tinnitus zuerst sehr leise und reagiert gut auf medikamentöse Sauerstofftherapie. Lasse ich diese jedoch weg, wird er täglich lauter (bis zu einem völlig unerträglichen "Motor" im Kopf). Ich habe Glück, dass das Medikament bei mir jedes Mal anschlägt. Und doch lädt dieser Umstand dazu ein, einfach Tabletten zu schlucken und ansonsten so weiter zu machen wie bisher - in jeder Hinsicht. Obwohl ich spüre, dass das Geräusch mir eigentlich eine Grenze aufzeigen will. In den letzten Wochen besuchte es mich gleich zweimal. Interessanterweise wurden die Ohrgeräusche beim ersten Mal trotz Medikament immer lauter, während es beim letzten Mal sofort anschlug. - Wohl einfach deshalb, weil ich beim ersten Mal weiter arbeiten ging und mich beim letzten Mal - nun schon etwas schlauer - trotz schlechten Gewissens krankschrieben ließ. Ich glaube, durch den Tinnitus fordert mein Körper die Ruhe, die ich ihm verwehre, einfach ein. Wenn ich ihn ganz loswerden will, muss ich wohl mein Leben noch mehr "befrieden" - und mehr Stille zulassen.




Denn ich glaube nicht, dass der Tinnitus lediglich ganz allgemein auf Überlastung hinweist. Das tun fast alle unsere Krankheiten. Nein, er spricht in seiner Symbolkraft auch von der Art der Überlastung - und beseitigt sie zugleich ! Als ich das Radioprogramm, was mich oft begleitet, ausschalten musste, weil es zusammen mit meinen Ohrgeräuschen Missklang erzeugte, kam ich darauf.
Der Tinnitus ist Lärm. Genau der Lärm, mit dem ich mich täglich umgebe. Äußerer Lärm in Form von überflüssigen Informationen und Ablenkungen. Innerer Lärm in Form von zuvielen Ideen, Gedanken und Gefühlen - die nicht abfließen können, weil die Stille fehlt. Die im Verborgenen gären, weil sie nicht bewusst wahrgenommen und gehört werden. Als mir durch das Geräusch im Ohr alles zuviel wurde - allem voran mein heißgeliebtes Radio - ließ ich es einfach weg. Und nach anfänglichem Zaudern begann ich die plötzliche Stille zu genießen.




Stille fällt schwer. Stille muss man aushalten lernen. Sie öffnet uns hinein in eine große Leere, die wir nicht gewöhnt sind. Aber diese Leere ist heilsam, sie ist ein Ent-leeren unseres oft übervollen Geistes. - Bis wir Fülle in ihr entdecken - die echte Fülle klarer Sinneseindrücke statt eines überwältigenden Zugleich und Zuviel. Die Fülle in statt außerhalb von uns. Eine Fülle, die uns leitet statt verwirrt. Denn unsere eigenen Prozesse und Ideen, Gefühle und Eingebungen verraten uns mehr über uns selbst als alles, was wir im Außen finden können. Sie weisen uns den Weg in Richtung Entfaltung. Doch dazu müssen wir nach innen lauschen.




In einem früheren Post thematisierte ich meine Schwierigkeit, in der Vielzahl meiner Interessen und Aktivitäten das "Allerwichtigste" zu finden und Überflüssiges loszulassen. Nun habe ich den Eindruck, dass die Stille mir genau dabei hilft. In ihrer Gegenwart schält sich mit der Zeit das Wesentliche heraus. - Das Wesentliche - eine viel schönere und passendere Formulierung als das Allerwichtigste, da sie auf sein seelenvolles Wesen verweist, zutiefst natürlich, wahr und in meinem Inneren gereift - statt auf eine Liste von Must-Haves, an deren Spitze ich unter Qualen und Zeitdruck irgendetwas stelle.
Wenn ich den Lärm in mir und um mich herum hin und wieder verstummen lasse, öffnet das einen Raum. Als eroberte ich mein Territorium zurück und vertriebe die Invasoren, die mich ausrauben, ausbeuten, aussagen wollen. Ich komme zur Ruhe, zentriere und kon-zentriere mich. Höre wieder zu - mir selbst und der Schönheit der Dinge. So schmecke ich ohne Radio oder Lektüre nebenher meine Mahlzeiten wieder mehr - oder nehme wahr, welche inneren Kapriolen mich gerade genau davon abhalten.

Dankbar dringe ich zum Kern vor und entdecke, was mich wahrhaft nährt und erfüllt, wohin es mich aus tiefstem Herzen zieht, werde mir meiner Grenzen und kreativen Möglichkeiten gewahr.
Zunächst erzwungen, erscheint die Stille inzwischen wie das letzte fehlende Teil eines Puzzles - wie der entscheidende Schritt. Denn in ihrer Reinheit und Klarheit finde ich zu mir und alle weiteren ergeben sich von selbst.



Der Weg in die Stille - ein Aufbruch ins Unbekannte. Aber ich will ihn wagen.
Immer wieder. Immer öfter. Immer lieber...



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